Gewalt ist ein übergeordnetes Problem innerhalb unserer Gesellschaft und es betrifft längst nicht mehr nur die Erwachsenen. Besonders besorgniserregend ist der Umstand, dass zunehmen auch Kinder und Jugendliche gewalttätig werden. Die jüngsten Entwicklungen innerhalb der polizeilichen Kriminalstatistik des Bundes zeigen auf, dass Jugendgewalt zunimmt. Der Anteil tatverdächtiger Kinder (0 bis unter 14 Jahre) stieg im Vergleich zu 2019 um 39,8 Prozent, während die Zahl tatverdächtiger Jugendlicher (14 bis unter 18 Jahre) um 8,9% anstieg. Das stellt die Gesellschaft insgesamt und so auch die Politik vor die dringliche Frage, wie dieser Entwicklung wirksam begegnet werden kann.
1. Was ist Jugendgewalt und wie wird sie geahndet?
Unter Jugendgewalt versteht man Gewalttaten, die von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen begangen werden. Rechtlich gesehen greift bei Jugendlichen im Alter von 14 bis 18 Jahren das Jugendstrafrecht. Bei Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahren entscheidet das Gericht je nach Reifegrad, ob Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht angewendet wird.
Im Jugendstrafrecht steht die Erziehung im Vordergrund, nicht primär die Bestrafung. Ziel ist es die Jugendlichen zu einem straffreien Leben zu befähigen und Rückfälle zu verhindern. Im Strafverfahren gegen Jugendliche sind besondere Jugendrichterinnen und -richter tätig, die in der Lage sind mit den Jugendlichen deren Alter und Entwicklungsstand und dem Erziehungsauftrag entsprechend umzugehen. Die Bandbreite der möglichen Sanktionen im Jugendstrafrechtreicht von Erziehungsmaßregeln über sogenannte Zuchtmittel bis hin zur Jugendstrafe. Diese werden individuell an die Tat und die Lebensrealität der jungen Täterinnen und Täter angepasst, wobei der Fokus immer auf der Prävention liegt.
Jugendgewalt ist oft geprägt durch spezifische Merkmale: In der Mehrzahl sind die Täter männlich, häufig handelt es sich um ein Gruppenphänomen und die Taten finden meist im öffentlichen Raum statt. Auch die Opfer von Jugendgewalt sind zumeist männlich. Zentrale Risikofaktoren sind soziale Benachteiligung, ein niedriges Bildungsniveau, Armut, fehlende Anerkennung, Erfahrungen von Ausgrenzung sowie Gewalterlebnisse in der eigenen Kindheit. Auch Probleme der Integration können das Risiko zu Jugendgewalt verstärken.
2. Jugendgewalt als wachsendes Problem
Deutschlandweit verzeichnen die Polizei und die Justiz einen Anstieg bei Jugendgewalttaten. Zwar gleichen sich die Zahlen wieder dem Niveau von vor der Corona-Pandemie an, doch lässt sich auch über die pandemiebedingte Ausnahmesituation hinaus ein besorgniserregender Trend beobachten. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Isolation, Schulschließungen und der Wegfall sozialer Kontakte während der Pandemie haben insbesondere die Kinder und Jugendlichen stark belastet, was langfristige Folgen im Sozialverhalten mit sich gebracht hat.
Typisch für Jugendkriminalität sind zwar häufig Bagatelldelikte wie Schwarzfahren, kleinere Ladendiebstähle oder Rangeleien, doch auch schwerwiegende Taten wie Körperverletzung, Sachbeschädigung und Bedrohung nehmen zu. Parallel dazu verschiebt sich die Gewalt zunehmend in den digitalen Raum. Mobbing über soziale Medien, das Filmen und Teilen von Straftaten in den sozialen Medien oder aber das Verbreiten von (kinder-)pornographischen Inhalten sind neue Phänomene, die schwerwiegende Folgen mit sich ziehen.
Ein großer Teil der schwereren Straftaten wird durch Mehrfach- und Intensivtäter verübt, wobei besonders männliche Jugendliche hierfür auffallend sind. Im Hinblick auf ausländische Täterinnen und Täter zeigt sich, dass der Anteil ansteigt. Entscheidend sind insgesamt soziale Faktoren, etwa Bildungsferne, Armut und Perspektivlosigkeit. Auch unter den Opfern von Jugendgewalt befinden sich viele junge Menschen mit nicht-deutscher Nationalität.
3. Situation in Sachsen-Anhalt
Auch in Sachsen-Anhalt spiegelt sich der bundesweite Trend wider. Die Kriminalstatistik des Landes weist seit Jahren steigende Zahlen bei der Jugendgewalt auf. Der prozentuale Anteil tatverdächtiger Kinder (0 bis unter 14 Jahre) ist im Vergleich zu 2019 um ca. 32% gestiegen, während der Anteil tatverdächtiger Jugendlicher (14 bis unter 18 Jahre) um ca. 16% aufwuchs. Vor allem in den größeren Städten ist das Thema längst Teil des öffentlichen Lebens und auch des politischen Diskurses. Halle (Saale) gilt hierbei als besonders belasteter Standort. Die Polizei hat mit der Einrichtung einer eigens dafür eingesetzten Ermittlergruppe „Concern“ und auch mit der deutlichen Erhöhung der Polizeipräsenz im öffentlichen Raum auf diese Problemlage reagiert.
Auffällig ist, dass in Sachsen-Anhalt vorwiegend deutsche Jugendliche als Tatverdächtige erfasst werden, was erneut unterstreicht, dass die soziale Herkunft ein zentralerer Risikofaktor ist als die ethnische. Auch ist die Verlagerung von Straftaten in den digitalen Raum deutlich festzustellen. Typische Delikte sind Raub, Körperverletzungen, Diebstahl und das Fahren ohne Ticket.
Eine in Halle durchgeführte Befragung unter Jugendlichen bestätigt den Problemdruck. Über 70 Prozent der befragten Jugendlichen berichten von eigenen Gewalterfahrungen zumeist im Freizeitkontext oder dem schulischen Bereich. Besonders häufig genannt wurden der Wunsch nach erhöhter Polizeipräsenz, einer gezielten Überwachung, gerade bei Brennpunkten, und eine bessere Aufklärung sowie präventive Angebote.
4. Jugendarbeit und Prävention zur Vermeidung von Gewalt
Die zentrale Frage, die sich vor dem beschriebenen Hintergrund ergibt, ist, wie sich die Jugendgewalt wirksam verhindern lässt. Klar ist, dass die Prävention ansetzen muss, bevor Gewalt überhaupt entsteht. Dafür braucht es ein starkes und koordiniertes Netz an Maßnahmen sowie die Beteiligung aller notwendigen Akteure.
Zunächst spielt das Elternhaus eine zentrale Rolle. Eine gewaltfreie, stabile Erziehung bildet das Fundament für die Sozialisation der Kinder und Jugendlichen. Auch der Freundeskreis, schulische Strukturen und die Freizeitgestaltung spielen bei steigendem Alter eine Rolle und beeinflussen das Verhalten der Jugendlichen maßgeblich. Gewaltprävention muss daher früh in den Schulen, wenn nicht sogar im Bereich der Kindertagesstätten, beginnen und das auch unter Berücksichtigung der digitalen Räume. Der bewusste Umgang mit sozialen Medien und die Thematisierung von Cybergewalt gehören heute ebenso zur Präventionsarbeit, wie die klassische Wertevermittlung.
Gleichzeitig sind niedrigschwellige Freizeitangebote und eine gut ausgebaute und lokal verankerte Jugendarbeit unverzichtbar. Sie muss sowohl Kinder und Jugendliche, als auch deren Eltern erreichen, insbesondere in belasteten Sozialräumen und Brennpunkten. Prävention alleine wird das Problem der wachsenden Jugendgewalt jedoch nicht lösen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Polizei, Schule, Jugendhilfe, Prävention und Politik ist gefragt.
5. Umgang mit gewalttätigen Kindern und Jugendlichen
Neben präventiven Maßnahmen ist die gezielte Nachsorge für bereits auffällig gewordene Kinder und Jugendliche von entscheidender Bedeutung. Gerade bei Intensivtäterinnen und -tätern, die häufiger schwerwiegendere Delikte begehen, sind spezialisierte Angebote unerlässlich. Diese müssen in ausreichender Kapazität vorhanden, niedrigschwellig erreichbar und auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen zugeschnitten sein. Erfolgreiche Täterarbeit sollte auf eine Kombination aus konsequenter Konfrontation mit dem eigenen Fehlverhalten, pädagogischer Betreuung und Perspektivarbeit setzen, um erneute Straftaten zu verhindern.
Ebenso wichtig ist ein schnelles und wirksames Handeln der Justiz. Langes Warten auf Gerichtsverfahren ohne spürbare Konsequenzen vermittelt den Jugendlichen den Eindruck, dass eine Tat folgenlos bleibt. Kurze Verfahrenswege und zügige Umsetzung verhängter Maßnahmen sind daher notwendig, um den jugendlichen Täterinnen und Tätern die Tragweite ihres Handelns unmittelbar vor Augen zu führen und ein klares Bewusstsein für Recht und Unrecht zu schaffen. So wird deutlich, dass jede Tag Konsequenzen mit sich zieht. Bei der Ahndung der Taten von jugendlichen Intensivtäterinnen und -tätern muss zudem die volle Bandbreite des Jugendstrafrechts konsequent ausgeschöpft werden. Ein wirksames Vorgehen erfordert darüber hinaus ein enges und abgestimmtes Zusammenwirken aller beteiligten Akteure – Polizei, Jugendhilfe und Justiz –, um Straftaten wirksam zu begegnen und weitere Delinquenz nachhaltig zu verhindern.
Vor diesem Hintergrund fordern wir als Freie Demokraten:
- Stärkung präventiver Strukturen: Gewaltprävention muss in der Lebensrealität der Kinder und Jugendlichen ansetzen. Der Ausbau von frühzeitigen und niedrigschwelligen Präventionsangeboten, insbesondere in den Bereichen Schule, Sozialarbeit und digitale Medienkompetenz sind notwendig, um möglicher Gewalt präventiv entgegenzuwirken. Die Wirksamkeit dieser Angebote ist regelmäßig zu prüfen,
- Weiterbildungen und Sensibilisierung: Eine gezielte Weiterbildung für Lehrpersonal sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern mit Schwerpunkt Jugendgewalt sollte weiterhin realisiert und ausgebaut werden. Ebenso muss hier die Verschiebung der Jugendgewalt in den digitalen Raum Berücksichtigung finden,
- Schaffung von Häusern des Jugendrechts: In den Häusern des Jugendrechts arbeiten Jugendgerichtshilfe, Jugendämtern, Polizei und Staatsanwaltschaft eng zusammen, um ein dauerhaftes Abrutschen der Jugendlichen auf die „schiefe“ Bahn frühzeitig zu verhindern und die soziale Reintegration zu fördern.
- Fokus auf die digitale Gewalt: Aufgrund der Verschiebung von Gewalttaten in den digitalen Raum ist es unabdingbar den Umgang mit sozialen Medien und eine umfassende Medienkompetenz frühzeitig zu vermitteln. Dies sollte bereits im frühkindlichen Alter umgesetzt werden,
- Verbesserung der Täterarbeit: Programme zur Resozialisierung und individuellen Arbeit mit gewalttätigen Kindern und Jugendlichen, gerade von Intensivtäterinnen und -tätern, müssen ausgebaut werden, da diese Gruppe schwerwiegendere Straftaten begeht, während bei Einzeltaten meist kleinere Delikte verübt werden,
- Niedrigschwelliger Zugang zu Freizeitangeboten: Das Vorhandensein von niedrigschwelligen Freizeitangeboten, wie Sportvereine und Jugendclubs, muss gestärkt werden. Ebenso gilt es über die bestehenden Strukturen aufmerksam zu machen und entsprechend zu informieren. Hierbei sind gerade die Problemviertel zu berücksichtigen,
- Schnell greifende Maßnahmen: Um den jugendlichen Täterinnen und Tätern ein klares Bewusstsein bezüglich der begangenen Taten zu vermitteln, ist es unerlässlich schnellere Verfahren sowie schnell greifende Maßnahmen zu forcieren.